Welterschöpfungstag – wo steht die deutsche Baubranche?
Ende Juli ist es so weit: Dann ist wieder einmal der symbolische Erdüberlastungstag angesagt. Das ist jener Tag, an dem die weltweite Rohstoffnachfrage die Fähigkeit der Erde, diese zu reproduzieren, übersteigt. Ab diesem Tag sind die biologischen Ressourcen für 2022 aufgebraucht und die Menschheit lebt sozusagen auf Pump.
Gliedert man den Verbrauch nach Ländern auf, ist dieser Tag längst eingetreten. Schon am 4. Mai 2022 hat Deutschland laut den Berechnungen des Global Footprint Network sein Budget an Ressourcen für das laufende Jahr verbraucht. Die Nachfrage nach primären Rohstoffen ist seit Jahren ungebrochen und diese werden immer mehr zum raren Gut.
Mehr Nachhaltigkeit wird zwingend für die Baubranche
Das gilt insbesondere für Baumaßnahmen mit ihren immensen Folgen für die Umwelt. Gemäß Schätzungen von Umweltexperten gehen etwa 40 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes auf das Konto des Bausektors. Dieser ist laut dem Statistischen Bundesamt der größte Müllerzeuger im Land. Zudem ist er nach Berechnungen des Deutschen Städtetags durch Neuverbauungen pro Jahr für rund 70 Prozent des Flächenverbrauchs verantwortlich.
Besonders schwerwiegend sind die Treibhausgase, die bei der Produktion und beim Transport von Baumaterialien wie etwa Stahl und Beton anfallen. Auch der Rückbau und die Materialentsorgung fallen unter diese sogenannten grauen Emissionen. Rechnet man diese zusammen, machen sie rund 25 Prozent der Gesamtemissionen eines konventionell produzierten Gebäudes aus. Der Rest entfällt vor allem auf den Verbrauch von Heiz- und Kühlenergie während der Gesamtdauer der Gebäudenutzung. Das zeigt sehr eindrucksvoll die Bedeutung der Bauindustrie, wenn es darum geht, den Welterschöpfungstag nach hinten zu verschieben.
Weniger Abrisse – bessere Umweltbilanz
Um dieses Ziel zu erreichen, ist eines besonders wichtig: das Vermeiden von Abrissen. Denn damit geht die in jedem Gebäude steckende graue Energie verloren. Oft werfen Bauherren zu schnell das Handtuch, wenn es um Sanierungen geht und nicht immer erweist sich die Substanz eines Gebäudes als so schlecht, dass eine Erhaltung nicht mehr lohnend ist. So ist etwa nicht alles, was auf den ersten Blick als nicht sanierbarer Plattenbau gilt, tatsächlich ein Fall für die Abrissbirne. Mitunter verstecken sich dahinter für ihre Errichtungszeit bereits sehr innovative Skelettbauten, die sich gut für eine neue Nutzung umrüsten lassen. Und die im Idealfall so konzipiert werden, dass sich die Fassade nach Ablauf ihrer Lebensdauer trennen und wiederverwerten lässt. Das ist jedoch derzeit eher die Ausnahme als die Regel.
Vom Bauabfall zum Produkt
Noch fehlen auch die entsprechenden gesetzlichen Vorgaben, die etwa im Gebäudeenergiegesetz Mindesthürden für nachhaltiges Bauen auf ein wirksames Level heben. Besonders vehement wird die Etablierung eines Produktstatus für Recycling-Baustoffe (RC) gefordert. Denn hier gibt es noch große Lücken bei der Akzeptanz, da selbst gütegesicherte Stoffe nicht als gleichwertig anerkannt werden. Das gilt auch und gerade für die öffentliche Hand. Viele Kommunen legen in ihren Ausschreibungen explizit fest, dass keine RC-Baustoffe eingesetzt werden dürfen.
Erste Ansätze, die ein Umdenken signalisieren, gibt es allerdings bereits. Das belegt zum Beispiel das Landeskreislaufwirtschaftsgesetzt, das in Baden-Württemberg RC-Baustoffe den primären Baustoffen in Ausschreibungen zumindest einen gleichwertigen Status einräumt. In der Praxis schlägt sich das laut den Einschätzungen von Vertretern der Bauwirtschaft allerdings noch viel zu wenig nieder.
RC-Baustoffe haben sich bewährt
Die Skepsis liegt nicht vordergründig an negativen Erfahrungen in der Praxis, denn RC-Baustoffe haben sich mittlerweile bewährt. So gibt es etwa durchwegs gute Erfahrungen im Straßenbau mit recycelten mineralischen Bauabfällen. Die Verfahren sind hier schon so ausgefeilt, dass die aufbereiteten Stoffe eine hohe Qualität aufweisen. Wird das Material im tieferliegenden Straßenunterbau angewendet, werden die begrenzten Ressourcen an Schotter und Kiese geschont, und zwar ohne Einbußen bei den Qualitätsstandards.
Das zeigt, wie wichtig es in Zeiten knapper Rohstoffe und teuren Deponieraums ist, dieses Potenzial zu nutzen. Das gilt auch für den Einsatz von Recycling-Beton im Hochbau. Der Weg zu einem ressourcenschonenden Bauen ist jedoch noch weit und nicht nur eine Aufgabe für die öffentliche Hand, sondern auch für die Verbraucher und die Wirtschaft. Vor allem muss es gelingen, vermehrt in Kreisläufen zu denken und von der ersten Planungsphase an zu berücksichtigen, dass neue Produkte recyclingfähig sein sollten. Aber auch eine höhere Wertschätzung von Recyclingprodukten ist wichtig. Sie müssen ihr vielfach unverdientes Image als minderwertige Lösungen loswerden und als das gesehen werden, was sie tatsächlich sind: ein Mehrwert, der nachhaltig, qualitativ geprüft und zugleich klimaschützend ist.
Die Baustoffindustrie hat die Zeichen der Zeit jedenfalls bereits erkannt. Praktisch jedes Unternehmen verfolgt Projekte, um seine Produkte kreislauffähig zu gestalten. Ein aktuelles Beispiel ist etwa die Wienerberger Gruppe, die gemeinsam mit dem niederländischen Urban-Mining-Spezialisten New Horizon einen kreislauforientierten Vormauerziegel gelauncht hat. Er wird mit dem Naturstoff Ton produziert und enthält 20 Prozent an keramischen Restmaterialien.