Zero Waste: besser leben ohne Müll
Deutschlands Städte planen den Müllausstieg und wollen abfallfrei werden. „Zero Waste“ ist mittlerweile mehr als ein Schlagwort und hat das Potenzial, Wirtschaft und Märkte nachhaltig zu verändern.
Die Abfallberge der deutschen Bundesbürger wachsen stetig in die Höhe. Das zeigt nicht nur eindrucksvoll die Weihnachtszeit, wo im Vergleich zum Jahresschnitt etwa zehn Prozent mehr Müll anfällt. Die Müllentsorgung kommt angesichts des wachsenden Abfallaufkommens im öfter an ihre Grenzen, was die angepeilten Klimaziele in weite Ferne rücken lässt. Um dem Trend zur Wegwerfgesellschaft entgegenzuwirken, setzen erste Kommunen in Deutschland auf neue Abfallkonzepte und wollen zur abfallfreien „Zero Waste City“ mutieren.
Das Übel an der Wurzel bekämpfen
Die wörtliche Übersetzung von „Zero Waste“ ist „Null Müll“ und der Überbegriff für eine Bewegung, die die Ursachen der ständig steigenden Abfallberge an der Wurzel bekämpfen will. Nachhaltiges Produzieren, verantwortliches Konsumieren und intelligentes Recycling von Materialien und Produkten sollen wertvolle Ressourcen erhalten. Abfall gilt es dabei, so gut es möglich ist, zu vermeiden.
Capannori, eine Gemeinde in der Toskana mit rund 50.000 Einwohnern, war die erste europäische Stadt, die dieses Konzept verfolgte und bis heute verfolgt. Sie verringert seit 2007 stetig ihr Abfallaufkommen. Der Müll wird dort direkt an der Haustür abgeholt. Die Müllsteuer richtet sich nach der Menge des Abfalls pro Haushalt. Zudem werden die Bewohner in Fortbildungen geschult, wie sich Müll vermeiden bzw. reduzieren lässt. Die Erfolge dieser Maßnahmen können sich sehen lassen: Die täglich anfallende Abfallmenge verringerte sich von rund 2 auf etwa 1,2 Kilo. Der Restmüll ging mit einem Minus von annähernd 60 Prozent noch stärker zurück. Der Anteil der Abfalltrennung liegt mit 82 Prozent deutlich über dem Durchschnitt in Europa.
Der erfolgreiche Weg, den Capannori eingeschlagen hat, bewegt nun auch immer mehr Städte dazu, ähnliche Konzepte zu verfolgen. Rund 400 europäische Kommunen haben sich mittlerweile nach dem Vorbild der toskanischen Stadt zum Netzwerk „Zero Waste Europe“ zusammengeschlossen.
Der lange Weg in die müllfreie Zukunft
Dazu zählt als erste deutsche Stadt mittlerweile auch Kiel. Sie hat auf dem Weg zur zertifizierten Zero-Waste-City die Wahl unter über hundert verschiedenen Maßnahmen der Abfallvermeidung, die dieses Konzept bietet. Auch andere Kommunen wie Frankfurt, München und Berlin wollen in eine müllfreie Zukunft starten. Der Weg dorthin ist lang und herausfordernd. Das Ziel, das etwa Kiel mit einer Halbierung der Müllmenge bis 2035 verfolgt, ist jedoch nicht unrealistisch und vor allem lohnend. Schließlich ist Deutschland ein Land mit wenig Rohstoffen und auf Importe angewiesen. Kreislaufwirtschaft ist daher eine umso wichtigere Strategie, um sich gegen einen Rohstoffmangel abzusichern.
Generell findet Zero Waste dort am meisten Anklang, wo die Müllberge am höchsten sind. Daher verwundert es eigentlich nicht, dass die Bewegung mittlerweile etwa in Neapel, wo es keine ausgeklügelte Mülltrennung wie in Deutschland gibt, stark ist. Die süditalienische Stadt, bekannt für ihre Probleme mit Müll und Müllmafia, will Europas Zero-Waste-Hauptstadt werden. Auf Länderebene findet Zero Waste etwa in Bangladesch oder Ruanda gute Voraussetzungen in der nationalen Gesetzgebung. Gerade jene Regionen, die ohne eine funktionierende Recycling-Infrastruktur auskommen müssen, setzen vermehrt auf Plan B in Form von Müllvermeidung.
Zero Waste als Konsumtrend
Während Abfallvermeidung weltweit aus den unterschiedlichsten Gründen zum Thema wird, hat die Wirtschaft Zero Waste längst als Marketingchance erkannt. Müllvermeidende Produkte wie feste Handcremes, Duschgele und Shampoos erobern sich ihre Nische im Drogeriefachhandel. Stofftaschentücher, Bienenwachs-Alternativen zu Alufolie, Zahnbürsten aus Bambus oder Edelstahl-Kaffeefilter versprechen Nachhaltigkeit ohne Qualitätsverlust. In immer mehr Kommunen etablieren sich zudem sogenannte Unverpackt-Läden, deren Businesspläne auf Zero Waste aufbauen. Dabei wird das komplette Sortiment lose angeboten, also ohne Gebinde und frei von Verpackungen.
Was hierzulande erst in Ansätzen funktioniert, hat in den USA bereits Tradition. Hier sind sogenannte Bulk Shops, die alles von Reis bis zum Reinigungsmittel zum Selbstabfüllen bieten, bei B2C längst keine Exoten mehr. Auch in Deutschland werden Tante-Emma-Läden, die auf Zero Waste setzen, gute Chancen eingeräumt.
Zero Waste: vom Trend zur fixen Größe
Zero Waste wird laut den Experten des deutschen Zukunftsinstituts in unserem Alltag vom Trend zur fixen Größe werden und die Wirtschaft sowie die Märkte verändern. Demnach wird in den kommenden Jahren das Precycling, also die fast vollständige Müllvermeidung, die Konsummärkte bestimmen. Cradle-to-Cradle, Upcycling und Recycling sind demnach nur so etwas wie Vorstufen zu Zero Waste mit enormen Folgen für die Produktionsketten und den Handel.
Die Verantwortung der Hersteller
Das bedeutet auch neue Herausforderungen für die Hersteller sowie kommunikative Fallstricke. Denn Zero Waste bedeutet eben nicht die möglichst umfassende Wiederverwertung des Mülls im Wirtschaftskreislauf. Es geht vielmehr darum, ihn schon vorab zu vermeiden. Das Konzept setzt also nicht bei der Mülltonne ein, sondern schon viel früher im Prozess der Produktion. Gefordert ist also nicht in erster Linie die Abfallwirtschaft. Zero Waste ist vielmehr ein Thema, das die Konsumwirtschaft betrifft. Hier sind völlig neue Wege denkbar, damit Produktion und Konsum ohne Ressourcenverschwendung möglich werden und im Idealfall erst gar kein Abfall entsteht. Die Verantwortung liegt hier vorrangig beim Hersteller und nicht beim Verbraucher.
Doch natürlich ist auch der Beitrag der Konsumenten enorm wichtig. Schließlich wird sich ohne Nachfrage auch das beste Konzept nicht durchsetzen können. Immerhin wurde Zero Waste von einer Konsumentin, der US-Amerikanerin Bea Johnson, erfunden. Sie tüftelte so lange an ihrer Haushaltsplanung, bis ihre vierköpfige Familie praktisch abfalllos lebte und der pro Jahr produzierte Müll in ein Marmeladenglas passte. Das Prinzip, das ihren Erfahrungen zugrunde lag, taufte Johnson Zero Waste. Sie gilt heute als Pionierin der Müllvermeidung und erklärt in ihrem Blog zerowastehome.com wie der müllfreie Haushalt funktioniert.
Neue EU-weite Vorschriften beim Kunststoff-Abfallhandel
Wie wichtig neue Strategien in der abfallarmen Produktion sind, zeigt das Bemühen der EU-Kommission um eine neue, verbesserte Abfallstrategie bei Kunststoffen. Sie verstärkt ihre Bemühungen, diese vor dem Verbrennen zu bewahren und die Recyclingwirtschaft in der EU auf neue Beine zu stellen. Dies auch deshalb, um illegalen Müllausfuhren einen Riegel vorzuschieben. Daher plant die Kommission eine Änderung ihrer Richtlinien zum Verbringen von Abfällen. Der Entwurf für eine neuartige „Waste Shipment Regulation“ (WSR) sieht Einschränkungen beim Abfallexport in Nicht-EU-Staaten vor. Dieser ist gemäß der geplanten Verordnung nur dann zulässig, wenn das Zielland des Exports eine umweltgerechte Verwertung des Mülls garantieren kann. Zudem ist eine bessere Überwachung der Müllausfuhren in OECD-Länder geplant. Führen diese im Zielland zu Umweltproblemen, müssen diese künftig ausgesetzt werden.